Michael Haydn

„Der gar nicht kleine Bruder“

Michael Haydn
(1737 – 1806)

Fünf Jahre trennen Michael Haydn von seinem älteren Bruder Joseph, dem berühmten hier und da herablassend als ´Papa` Haydn tituliert, dem nichts Geringeres gelungen ist als die Gattungen Sinfonie und Streichquartett maßgeblich zu formen und zu etablieren. Der ´kleine` Bruder gilt bis heute nach dem Diktum von E.T.A. Hoffmann als Meister der Kirchenmusik, die in der Tat einen wesentlichen Teil seines Schaffens ausmacht. Seine ´weltlichen` Kompositionen nehmen allerdings kaum weniger Raum ein als die hochgelobten geistlichen Werke und es lohnt sich ein genauerer Blick auf beide Seiten des jüngeren Haydn. Nach heutigem Forschungsstand umfasst sein Werkverzeichnis  sage und schreibe 838 Einträge. Es ist offensichtlich, dass dieser Beitrag diesen Umfang nicht einmal ansatzweise widerspiegeln kann, aber einen näheren Einblick nicht nur in die ´wichtigen` Werke Michael Haydns will ich zumindest versuchen.

Michael Haydn wurde am 14. September 1837 in Rohrau in Niederösterreich getauft. Genau wie sein Bruder Joseph wurde er im Alter von acht Jahren Chorknabe im Kapellhaus des Wiener Stephansdoms. Dort lernte er den Umgang mit Instrumenten wie Orgel, Klavier und Violine und erwarb sich Kenntnisse der Komposition durch das eigenständige Studium von Johann Joseph Fux` Lehrwerk ´Gradus ad Parnassum`. Zwischen 1757 und – endgültig nachweisbar – 1761 trat Haydn seine erste offizielle Stelle als Domkapellmeister in Großwardein (heute Rumänien: Oradea) an, ab 1763 wirkte er als ´Hofmusicus und Concertmeister` in Diensten des Fürsterzbischofs von Salzburg Sigismund von Schrattenbach, später dessen Nachfolger Hieronymus Graf von Colloredo. 1767 heiratete Haydn die in Italien zur Sängerin ausgebildete Magdalena Lipp (1745–1828), die als Hofsängerin bis 1803 tätig blieb. Sie war die Tochter eines Kollegen in der Hofmusik, des Organisten Franz Ignaz Lipp. Das Ehepaar bezog für vier Jahrzehnte eine Wohnung innerhalb eines zum Kloster Sankt Peter gehörigen Hauses. Das einzige Kind des Ehepaars, die am 31. Januar 1770 geborene Tochter Aloisia, starb noch im ersten Lebensjahr am 27. Januar 1771. Naturgemäß hatte Haydn am Salzburger Hof mit Vater Leopold (18 Jahre älter) und Sohn Wolfgang Amadeus Mozart (19 Jahre jünger) zu tun. Vater Leopold wirkte in Salzburg in der Funktion des Vizekapellmeisters, Sohn Wolfgang zunächst als Konzertmeister der Salzburger Hofkapelle, ab 1879 als Hoforganist, jene Stelle, die Haydn 1781 von ihm übernahm, nachdem der junge Mozart sich mit Graf von Colloredo überworfen und Salzburg endgültig Richtung Wien den Rücken gekehrt hatte. Der Freundschaft zwischen Haydn und Wolfgang Amadeus Mozart tat dies keinen Abbruch, sie blieben bis zum frühen Tod Mozarts in zumeist engem schriftlichen Kontakt, da Haydn Salzburg in den 43 Jahres seines dortigen Wirkens nur selten verliess. Dennoch wirkten seine Werke über Salzburg und Umgebung hinaus, abzulesen am wahrscheinlichen Kompositionsauftrag des spanischen Hofes für eine Messe (sog. Missa hispanica) oder seine Aufnahme in die Königliche Schwedische Akademie im Jahr 1804, der Haydn als Dank eine leicht redigierte Abschrift der Missa Ruperti MH 322 schenkte, ganz zu schweigen von zwei Kompositionsaufträgen, die er zum Ende seiner Laufbahn von Kaiserin Maria Theresia erhielt (darunter das unvollendete 2. Requiem). Auch die die erkleckliche Zahl von namhaften Schülern – unter ihnen Carl Maria von Weber, Sigismund Ritter von Neukomm, Anton Diabelli, der vielfach unterschätzte Josef Wölfl und der bedeutende Kirchenmusiker Ignaz Aßmayer – spricht für Haydns Bekanntheitsgrad und guten Ruf zu Lebzeiten. Michael Haydn starb am 10. August 1806 in Salzburg.

Wie bereits gesagt, verzeichnet der letzte bekannte Forschungsstand 838 Kompositionen, von denen mehr als die Hälfte dem Bereich der geistlichen Musik zuzuordnen sind. Allein wegen dieser großen Zahl wird Michael Haydns Leistung häufig fast nur mit diesen Werken verbunden, obwohl sein zahlenmäßig kaum geringerer Output an weltlicher Musik qualitativ keineswegs unterschätzt werden darf. Dazu gehören ca. 40 Sinfonien, 11 erhaltene Konzerte für verschiedene Soloinstrumente, zahlreiche Unterhaltungsmusiken wie Serenaden, Divertimenti, Notturni und Cassationen für unterschiedliche Besetzungen sowie Märsche und eine gewaltige Zahl von Menuetten. Auch für die Bühne war Haydn aktiv im Bereich Oper, Singspiel und Schauspielmusik. Seine Kammermusik (Quartette und Quintette für Streicher) stehen im Schatten der Leistung seines Bruders Josephs und natürlich Mozarts und Beethovens. Daneben stehen Kanons und zahlreiche Lieder, unter denen die Quartette besondere Bedeutung haben. Seine geistlichen Werke umfassen 40 Messen, 2 Requien, das zweite unvollendet, ein Werk, das in ganz enger geistiger Nachbarschaft zu Mozarts ebenfalls unvollendetem letzten Werk steht, über 100 Graduale, 45 Offertorien sowie zahlreiche weitere Werke für den Gebrauch im Gottesdienst.

 

 

Sinfonien

Haydns gut 40 Sinfonien erfreuen sich seit einiger Zeit relativ großen Zuspruchs der Tonträger-Industrie. Das erlaubt einen guten Einblick in seine Entwicklung auf diesem Gebiet, die allerdings mitnichten mit der seines Bruders Joseph zu vergleichen ist. Michael blieb bekanntermaßen für über 40 Jahre in schönen, aber musikalisch aber doch eher provinziellen Salzburg, was ihm – im Gegensatz zu seinem Bruder und natürlich Mozart – den direkten Zugang zu neuen Strömungen verwehrte, nicht zuletzt aber auch deshalb, weil Haydn sich 1788 entschloss, nur noch Vokalmusik zu schreiben.  Umso erstaunlicher ist die Sicherheit und Qualität, die sich sowohl mit Arbeiten des Bruders als auch Mozarts aus einem ähnlichen Zeitraum messen kann und sie teilweise sogar hinsichtlich ihrer Formvielfalt übertrifft, mit der er wahrscheinlich bereits vor 1761 – noch in Großwardein – seine ersten Sinfonien schrieb. Hinweis: ich halte mich ohne Nummerierung der einzelnen Werke an die Klassifizierung von Sherman.

Die ersten Sinfonien sind fast durchweg viersätzig, beginnend mit Sinfonie C-Dur MH 23, ein glanzvolles Werk, das Ende der 1750er Jahre entstand, von sehr festlichem Charakter, insbesondere in den Außensätzen, wozu der intensive Gebrauch der Trompeten, Hörner und der Oboen einen großen Teil beiträgt. Ebenfalls viersätzig ist die Sinfonie D-Dur MH 24 (Allegro molto, Andante, Menuetto, Presto), in der insbesondere der dritte Satz in seinem Hauptteil durch seine bläserlastige Instrumentierung hervorsticht. MH 24 entstand wahrscheinlich ebenfalls zwischen 1758 und 1761, genauso wie die folgenden Werke: Sinfonie F-Dur MH 25 und Sinfonie G-Dur MH 26 (beide wohl auch um 1760 entstanden). In MH 25 finden wir die gleichen Satzbezeichnungen, wenn auch in Satz 1 ohne den Zusatz ´molto`, der in MH 26 aber wiederauftaucht. Auffälligerweise verzichtet Haydn im Andante von MH 25 auf die Bläser, ein kleines, aber interessantes Experiment. In MH 26 folgt auf einen barockalen Eröffnungssatz ein irgendwie zeremoniell klingendes Andante, was auch für das folgende Menuett gilt. Die Klangfarbe des auffällig kurzen Finales wird stark von den Hörnern bestimmt. Der Sinfonie Es-Dur MH 35 vom Anfang der 1760er Jahre hat Haydn den Untertitel ´Partita` gegeben, was auch mit der Anordnung der Sätze zu tun haben kann (Andante, Allegro con spirito, Menuet, Finale: Prestissimo). 1761 folgte die Sinfonie C-Dur MH 37 mit einem wiederum sehr festlichen Beginn, unterstrichen durch die Bläserbesetzung mit jeweils zwei Oboen, Fagotten, Hörnern und Trompeten. Die Sätze lauten: Allegro, Andante, Menuetto e Trio und Presto. Nachdem der zweite Satz lediglich für Streicher gesetzt ist, sind im Menuett – insbesondere im Trio – Hörner und Trompeten wieder sehr prominent und klangschön vertreten. Die Sinfonie D-Dur MH 50 galt ursprünglich als Werk von Bruder Joseph. Weiterhin ist unsicher, ob die Sätze 3 und 4 tatsächlich von Michael Haydn stammen, so dass auch eine verkürzte Aufführung dieser musikalisch eher schwachen Sinfonie denkbar ist. Bei Sherman folgt die Sinfonie F-Dur MH 51, ein dreisätziges Stück mit den Sätzen Allegro assai con spirito, Andante grazioso, Finale: Prestissimo, vermutlich ebenfalls um 1761 entstanden. Es folgt eine der wenigen Sinfonien Haydns mit einem Untertitel. Die Sinfonie B-Dur MH 62 vom Ende des Jahres 1763 trägt den Titel ´La Confidenza`, wobei nicht ganz klar ist, ob nur der zweite Satz oder das ganze Werk mit dieser Bezeichnung gemeint sind. Die wiederum drei Sätze sind bezeichnet: Allegro, Andante und wieder Allegro. Auffällig im ausgedehnten Andante sind die mehrfach eingestreuten tänzerischen Zwischenspiele. Um die Jahreswende 1763/4 entstanden in rascher Folge drei weitere Werke: Sinfonie A-Dur MH 63 (vier Sätze), Sinfonie C-Dur MH 64 (drei Sätze) und Sinfonie E-Dur MH 65 (drei Sätze). Die Instrumentierung ist bei allen drei Sinfonien gleich mit Streichern sowie jeweils 2 Oboen, Fagotten, Hörnern mit der kleinen Abweichung, dass in MH 65 die erste Oboe im langsamen Satz durch eine Flöte ersetzt wird. Die Satzbezeichnungen: MH 63: Allegro molto, Andante ma non troppo, Menuetto e Trio, Presto, MH 64: Vivace, Andante, Tempo di Menuetto, MH 65: Allegro, Andantino, Allegro. Allein die Tatsache, dass Anthony van Hoboken alle drei Sinfonien für Werke von Bruder Joseph hielt und sie in seine Auflistung aufnahm, spricht für die zwar nicht spektakuläre, aber solide Qualität der Kompositionen. Etwa zwei Jahre später entstand die Sinfonie D-Dur MH 69, bei der die Flöte neben der bereits bekannten Besetzung durchweg zu Ehren kommt. Die vier Sätze lauten: Allegro molto, Andante, 3. Menuetto, Finale: Presto. Interessant, dass in den Mittelsätzen besonders das Fagott gefordert ist, während im Finale alle Bläser prominent eingesetzt werden. Ebenfalls um 1766, wobei das Finale erst 1772 hinzugefügt wurde, entstand die Sinfonie B-Dur MH 82 mit Streichern sowie Oboe und Horn; die Sätze lauten: Allegro assai, Andantino, Menuett und Trio und Allegro molto. Im monothematischen zweiten Satz lässt Haydn wieder nur die Streicher sprechen, genauso im bezaubernden Trio des dritten Satzes.

Die Sinfonie G-Dur MH 108 und die Sinfonie D-Dur MH 132 entstanden wahrscheinlich im Jahr 1768. Beide sind viersätzig; MH 108: Allegro molto, Andante, Menuetto e Trio und Prestissimo, MH 132: Allegro, Andante, Menuettos I und II und Allegro molto assai. MH 108 zeichnet sich durch eine insbesondere in den beiden ersten Sätzen sehr eingängige Melodik aus, in MH 132 treten neben der schon fast üblichen Bläserbesetzung (Oboe, Fagott, Horn) zwei Trompeten hinzu, überzeugt ein ausgedehntes, sehr schön gestaltetes Andante und – eine überraschende Abweichung – der dritte Satz besteht aus zwei Menuetten. Die Entstehung der Sinfonie B-Dur MH 133 in drei Sätzen (Allegro molto, Adagio ma non troppo, Menuetto e Trio) liegt zwischen 1768 und 1770. Zum einen fällt die Besetzungs-Ergänzung der Bläser auf 4! Hörner auf, zum anderen gibt Haydn dem Andante den Untertitel ´Concertino per il Fagotto` mit einer improvisatorischen Solokadenz, ein sehr schöner Satz, der auch schon mal als Einzelstück zu hören ist. Etwa 1771 entstand die Sinfonie D-Dur MH 150, in der Haydn das Menuett ausnahmsweise an die zweite Stelle setzte. Die Bezeichnungen der vier Sätze lauten: Allegro spiritoso, Menuett und Trio, Andante, Presto assai. Auch diese Sinfonie war aus nachvollziehbaren Gründen einst Bruder Joseph zugeschrieben, sie ist sehr kurzweilig mit stark vordergründigen Hörnern, insbesondere im letzten Satz. Die Sinfonie E-Dur MH 151 besteht zumindest in Teilen aus Stücken, die Haydn 1771 für eine Schauspielmusik komponiert hatte. Dies gilt sicher für die beiden ersten Sätze (Allegro und Andante) und wahrscheinlich auch für Satz 3 (Menuetto und Trio – letzteres klingt eher düster), während das Finale: Allegro con spirito mit seiner fröhlichen Stimmung zuweilen an Papagenos ´Ein Mädchen oder Weibchen` erinnert. Ähnliches ereignet sich in der Sinfonie A-Dur MH 152 im Finale, wenn der aufmerksame Hörer einen Touch Mozart aus dessen Finale der Sinfonie Nr. 29 KV 201 in Haydns Finale (Allegro molto) vorweggenommen findet. Satz 1 (Allegro molto) überrascht mit zwei Seitenthemen, von denen eines die Durchführung bestreitet. Die Mittelsätze (Menuetto – Trio und Andante) sind konventioneller geraten, das Andante – wie so oft – rein für Streicher gesetzt. Von anderem Format, allein in der Länge ist die Sinfonie C-Dur MH 188 aus dem 1773. Schon die beiden ersten Sätze (Allegro molto und Andante) – wenn alle Wiederholungen berücksichtigt werden – dauern mehr als 25 Minuten. Doch es nicht nur die Länge der Sätze, die diese Komposition heraushebt, es ist auch die viel stärker differenzierte musikalische Faktur. So ist der erste Satz ein voll ausgeschriebener Sonatensatz mit einer teilweise schon fast pompös zu nennender Instrumentierung, während der langsame Satz mit seinen fließenden Themen, in denen zwei Englischhörner die Stimmung prägen, schon fast idyllisch klingt. Satz 3 und 4 (Menuetto: Allegro und Finale: Vivace) bewegen sich wieder konventioneller, obwohl auch das flotte Finale einige überraschende Wendungen bereithält. Auch die Sinfonie D-Dur MH 198 aus dem Jahr 1774 zeigt sich trotz der altbekannten Satzbezeichnungen (Allegro, Andante, Minuet und Trio, Presto assai) in einigen Teilen sehr differenziert: so gibt es im 1. Satz spannende harmonische Wendungen, die zugleich die wechselnden Stimmungen des Satzes wiederspiegeln und im Moll-Andante überrascht ein ausgedehntes Hornsolo.  In derselben Tonart (d-moll) wie das Andante steht vollkommen unerwartet das Trio, aber das kurze Finale fegt die wechselhafte Stimmung im presto fort.

Die Sinfonie C-Dur MH 252 ist kein originäres Stück, der erste Satz (Allegro molto) stammt aus einem Ballett, das Haydn 1770 als Einlage zu einer Finalkomödie geschrieben hat, die folgenden Sätze (Andante, Menuetto e Trio, Presto) sind der Partita MH 251 aus dem Jahr 1777 entnommen, dem Jahr, in dem auch die Sinfonie erstmalig gespielt wurde. Auch hier steht das getragene Andante ausnahmsweise in Moll (passend zur Grundtonart C in a-moll). Über das Entstehungsjahr der Sinfonie D-Dur MH 272 besteht Unklarheit, es wird von 1772, aber auch von 1778 gesprochen, wobei mir letzteres plausibel scheint. MH 272 gehört zu Haydns vier Sinfonien mit einer eröffnenden langsamen Einleitung. Die Satz-Bezeichnungen lauten: Adagio – Allegro molto, Andante und Presto. Der erste Satz wird von den Streichern bestimmt, erst zum Ende melden sich die Bläser (2 Oboen, 2 Fagotte und 2 Hörner) zu Wort. Es folgt ein zarter langsamer Satz, indem die Bläser trotz einer Streicherdominanz sicher immer wieder deutlich in den Vordergrund schieben. Ein flottes monothematisches Fugato beendet die Sinfonie. Im Jahr 1779 folgte die Sinfonie F-Dur MH 284 ebenfalls in drei Sätzen mit langsamer Einleitung (Adagio – Presto, Andante, Vivace assai), zudem identisch wie MH 282 besetzt. Auf einen lieblichen Beginn folgt ein Sonatensatz mit zwei kaum gegensätzlichen Themen, im idyllischen dreiteiligen Andante schieben sich im Mittelteil einige Moll-Wolken in die sonnige Stimmung, die der Schlußsatz temporeich bestätigt. Wohl auch 1779 entstand die Sinfonie D-Dur MH 287, ebenfalls in drei Sätzen, aber ohne langsame Einleitung. Der erste Satz  (Allegro assai), ein Sonatensatz, beginnt mit einem markanten Hornmotiv, das den gesamten Satz prägen wird. Das folgende Andantino gehört zu den wenigen Sinfonien Haydns, in denen der langsame Satz in einer Moll-Tonart steht. Allerdings wird d-moll im Takt 65 (nach gut der Hälfte des Satzes) verlassen, der Rest des Satzes steht in D-Dur. Im Schlußsatz (Fugato: Presto ma non troppo) spielen wieder die Hörner eine wichtige Rolle, so wichtig, dass ihnen zweimal das Fugenthema übertragen wird.

Mit der Sinfonie A-Dur MH 302 kehrt Haydn im Jahr 1781 zur Anlage in vier Sätzen zurück. Die Bläser-Besetzung besteht aus 2 Flöten, Oboen, Fagotten, Hörnern und einem Posthorn, das im Trio des Menuetts ein Solo bekommt. Dem Eröffnungssatz (Allegro con brio) folgt ein Andante cantabile als Variationssatz, in dem die Flöten die Oboen ersetzen und besonders im Schlußteil des Satzes die Klangfarbe bestimmen. Ein heiteres Presto beschließt dieses insgesamt sehr fröhliche Werk. Die folgende Sinfonie G-Dur MH 334 ist insofern eine Besonderheit, weil sie über viele Jahre W.A. Mozart zugeschrieben wurde und als Nr. 37 KV 444/425a ins Köchel-Verzeichnis einging. Erst Perger wies 1907 darauf hin, dass Mozart lediglich eine langsame Einleitung zum ersten Satz (Allegro maestoso) verfasst habe. Das Haydn-Original ist dreisätzig und stammt aus dem Jahr 1783, in Teilen adaptiert aus einer Kantate. Die Besetzung ist fast deckungsgleich mit MH 302 (es fehlt lediglich die zweite Flöte). Nach einem flotten, fröhlichen ersten Satz (Allegro con spirito) folgt mit dem Andante sostenuto einer schönsten langsamen Sätze Haydns (ursprünglich eine Arie aus der erwähnten Kantate), in dem er im Mittelteil insbesondere das Fagott glänzen lässt (Mozart hat diesen ´solistischen` Teil in seine ´Fassung` nicht übernommen). Nach einer Generalpause sind dann die Oboen prominent gefordert, ehe der Schlußsatz (Allegro molto) mit seinem tänzerischen Drive an die Eröffnung anknüpft. Ebenfalls 1783 schrieb Haydn die Sinfonie Es-Dur MH 340, eine der wenigen (insgesamt waren es lediglich drei), die zu seinen Lebzeiten veröffentlicht wurden. Das dreisätzige Werk (Allegro spiritoso, Adagietto affettuoso, Finale: Presto) kommt in den Ecksätzen ähnlich volkstümlich daher wie MH 334, das Adagietto hingegen klingt durch die Dämpfung der Streicher sehr zart und weich. Auf Analogien und Ähnlichkeiten – insbesondere im ersten Satz mit einem kurzen wörtlichen Zitat – zu Mozarts Sinfonie Es-Dur KV 543 hat Albert Einstein in seiner Mozart-Biografie hingewiesen. Ein Jahr später folgte die Sinfonie B-Dur MH 358, ebenfalls dreisätzig, jedoch beginnend mit einer langsamen Einleitung (Grave), auf die ein frisches Allegro con spirito folgt. Dieser erste Satz ebenso wie das folgende Andante und das Presto-Finale zeigen Haydn melodisch und formal als absoluten Meister der Sinfonik, so dass es keineswegs verwunderlich ist, dass MH 358 schon zu Lebzeiten Haydns zu seinen beliebtesten Werken zählte, ganz abgesehen davon, dass das Werk geraume Zeit Bruder Joseph zugeschrieben wurde. 1784 entstand in Salzburg die Sinfonie C-Dur MH 384, die dritte und letzte, die Lebzeiten Haydns veröffentlicht wurde. Auch sie ist dreisätzig (Allegro spirituoso, Rondeau: Un poco adagio und Fugato: Vivace assai). Der erste Satz beginnt fast verträumt mit dem Hauptthema, mündet aber in einen schwungvollen Sonatensatz, in dem neben Streichern auch 2 Oboen, 2 Fagotte, 2 Hörner, 2 Trompeten und sehr prominent die Pauke eingesetzt wird. Das folgende Andantino stellt das Thema zunächst verziert in den Streichern vor, später ohne Verzierungen übernommen von den Trompeten. In Satz 3 arbeitet Haydn zum ersten Mal formal mit einer Art Fugato, eine Technik, die uns in den späteren Sinfonien häufiger begegnen wird. Ebenfalls 1784 entstand die Sinfonie d-moll MH 393, Haydns einzige Mollsinfonie. Die drei Sätze sind bezeichnet Allegro brilliante, Andantino und Rondeau: Presto scherzando. Die Sinfonie hat insgesamt einen eher festlichen und trotz der Moll-Grundtonart fröhlichen Charakter. Insbesondere im ausgedehnten zweiten Satz kommen die Bläser (jeweils 2 Oboen, Fagotte, Hörner und Trompeten) ausgedehnt zu Wort. In den konzisen Ecksätzen (Sonatenform und Rondo) mischt auch die Pauke ausgiebig mit, allerdings nicht in jeder Einspielung, da es – genau wie bei MH 384 – unterschiedliche Editionen gibt. Sinfonie D-Dur MH 399 aus dem Jahr 1785 ist die letzte der vier Haydn-Sinfonien mit einer langsamen Einleitung. Auf das eröffnende Adagio folgen die Sätze Allegro spiritoso, Andante sostenuto und Vivace molto. Auch in diesem Werk nutzt Haydn den langsamen zweiten Satz zu solistischen Einlagen der Bläser: diesmal sind es die beiden Oboen, die prominent hervorgehoben werden. Die Sinfonie endet mit einem tänzerischen Variationssatz.

Einzigartig in Haydns sinfonischem Schaffen ist die Sinfonie D-Dur MH 420 aus dem Jahr 1786: sie besteht lediglich aus zwei Sätzen: Vivace assai und Rondeau. Andererseits ist das Werk in den Bläsern mit Flöte sowie jeweils zwei Oboen, Fagotten, Hörnern, Trompeten reich besetzt, hinzu kommt noch eine Pauke. Beide Sätze sind sehr konzis gestaltet, Satz 1 in Sonatenform, Satz 2 entsprechend der Bezeichnung als allerdings sehr kurz gehaltenes Rondo. Beide Sätze haben festlich-tänzerischen Charakter. Die Sinfonie B-Dur MH 425 – drei Sätze stammen aus dem Jahr 1786, das Menuett MH 652 fügte Haydn 1797 hinzu ohne den geringsten hörbaren stilistischen Bruch – gehört zu den wenigen Sinfonien Haydns, deren Dauer 20 Minuten übersteigt. Die vier Sätze lauten: Vivace, Adagietto cantabile, Allegro: Menuetto e Trio sowie Presto ma non troppo. Die Besetzung gleicht MH 420, jedoch ohne Flöte. Im festlichen ersten Satz fällt die fugierte Durchführung mit ihren kraftvollen Hornrufen auf, Satz 2 überrascht weniger mit seiner Kantabilität als den vielen Bläsereinschüben und seiner vielschichtigen melodischen Faktur. Menuett und Finale haben ebenfalls virtuos-festlichen Charakter, im Finale sind zudem auffällig die deutlich zwischen piano und forte abgesetzten Klangblöcke. Im Jahr 1788 schrieb Haydn nicht weniger als 6 Sinfonien, alle in 3 Sätzen. Der Zyklus beginnt mit der Sinfonie Es-Dur MH 473 (Allegro con brio, Adagietto und Finale: Fugato – Allegro). Ein festlicher Sonatensatz eröffnet gefolgt von einem zarten langsamen Satz mit einem eingängigen Fagottsolo. Das Finale greift das erste Thema des Eröffnungssatzes auf und verarbeitet es im Rahmen eines Fugato. In der Mitte des Satzes meldet sich das Horn unmissverständlich zu Wort mit zwei Einwürfen in hoher Lage. Es folgt Sinfonie G-Dur MH 474 mit den Sätzen Allegro con spirito (Sonatensatz), Andante (zweiteilig mit einem Oboensolo) und Finale: Rondo – Presto (ABACABA). In Sinfonie B-Dur MH 475 (Allegro con fuoco, Andante con espressione, Finale: Rondo) überrascht im langsamen Satz der Einsatz der Pauke und die Einführung eines neuen Motivs in der Durchführung von Satz 1. Das Finale ist analog MH 474 aufgebaut. Nummer 4 in diesem Zyklus ist die Sinfonie D-Dur MH 476 mit den Sätzen Vivace, Andantino und Allegro assai, die formal den drei Vorgängern entspricht mit der Einschränkung, dass der letzte Satz ausnahmsweise nicht als Rondo, sondern wie der Eingangssatz als Sonatensatz konzipiert ist. In der nächsten Sinfonie F-Dur MH 477 (Allegro molto, Andantino und Allegro scherzante) greift Haydn im Schlußsatz wieder auf die Rondoform zurück. Die beiden ersten Sätze stehen in der aus dem bisherigen Zyklus bekannten Form (Sonatensatz bzw. zweiteilige Form). Bei der Bläserbesetzung greift Haydn lediglich auf Oboen und Hörner zurück, letztere schieben sich in der Reprise des ersten Satzes mit einigen hohen Tönen in den Vordergrund. Außergewöhnlich an der Sinfonie C-Dur MH 478 ist der Einsatz von 4 Hörnern, die insbesondere im langsamen Satz eingesetzt werden. Die Satzfolge lautet Allegro con spirito, Andante und Fugato: Molto vivace. Sätze 1 und 2 sind formal gestaltet wie gehabt, Satz 3 hingegen erweist sich als Mischung aus Fugenansatz und Sonate, wobei die Fugatoelemente eindeutig überwiegen. Insgesamt ist MH 478 das substanzreichste Werk des Zyklus.

Haydns vorletzte Sinfonie F-Dur MH 507 entstand im Sommer 1789. Sie ist dreisätzig (Allegro molto in Sonatenform, es folgt ein dreiteiliges Adagio ma non troppo mit einem bewegten Mittelteil, am Ende steht ein knappes, konzentriertes Finale in Rondoform mit der Bezeichnung Vivace). Im langsamen Satz steht das Fagott im Mittelpunkt, während das Finale im Couplet die Oboe in den Vordergrund stellt. Kurz nach MH 507 schrieb Haydn seine letzte Sinfonie A-Dur MH 508. Die Sätze lauten Spiritoso, Andante und Fugato: Vivace molto. Im ersten Satz fällt das Fagott im Unisono-Spiel mit den Violinen auf. Das Andante wird von einem wahrhaft schreitenden Motiv der Bläser bestimmt, auf das die Streicher ´gedämpft` antworten. Das profunde Fugato des Finales mit seiner kompakten Durchführung kommt ähnlichen Kompositionen seines Bruders und Mozarts qualitativ so nahe, dass es mehr als bedauerlich ist, dass Haydn ab 1788 keine Sinfonie mehr geschrieben hat.

Serenade (Divertimento) D-Dur MH 68

1764 geschrieben, beinhaltet dieses aus neun Einzelsätzen bestehende Werk, das bei Sherman bei den Divertimenti gelistet ist, in den Teilen 5 (Andante) und 6 (Allegro spiritoso) den veritablen Ansatz eines Klarinettenkonzerts, während die Abschnitte 7 und 8 durchaus für ein Posaunen-Concertino durchgehen könnten. Des weiteren hat Haydn die Sätze 2 (Allegro molto), 3 (Andante), 4 (Menuetto – Trio) und 9 (Finale: Presto) zu einer D-Dur-Sinfonie (MH 69) zusammengefasst und den ersten Teil (Marcia) einzeln veröffentlicht (MH 67).   

Serenade D-Dur MH 86

Diese gefällige, aber kaum bekannte Serenade aus dem Jahr 1767 besteht aus 10 Sätzen, in denen Haydn vielfach die bekannten Merkmale der Serenaden des 18. Jahrhunderts umsetzt, indem er in wesentlichen Teilen Solisten ausgiebig zu Wort kommen lässt. So im vierten und fünften Abschnitt mit einem Concertino (Adagio – Allegro molto) für Horn und Posaune oder in den Abschnitten 6 und 7, in denen sich Flöte, Cello und Violine fast opernhaft die Bälle zuwerfen. Nicht zufällig sind die Abschnitte mit Rezitativ und Aria überschrieben.

 

Pastorello MH 83

 

Ein frühes Werk für Violinen, Trompete und Pauke aus dem 1766, vermutlich für einen weihnachtlichen Anlass im Salzburger Dom geschrieben.

 

Weitere Orchesterwerke

 

Neben elf Märschen (interessanterweise ist einer von ihnen – MH 515 – sehr ungewöhnlich – ausschließlich für Streicher gesetzt) sind drei frühe Notturni für kleines Orchester von Haydn überliefert.

 

 

Eine beträchtliche Zahl, insbesondere der Bläserkonzerte, sind aus Serenaden oder Divertimenti entnommen; damit verbunden ist ein Numerierungs-Durcheinander, das einer angemessenen Aufarbeitung bedarf. Hier soll es lediglich um gesichert als Konzert verfasste und – in einem einzigen Fall –  nicht eindeutig zuordnungsfähige Stücke gehen.

Konzert für Horn und Orchester D-Dur MH 53

Wahrscheinlich zwischen 1760 und 1762 in Großwardein entstanden, wurde dieses Konzert mit der üblichen Satzfolge Allegro moderato, Adagio und Allegro zunächst Bruder Josef zugeschrieben. In den beiden ersten Sätzen klingen noch barocke Vorbilder an, das Finale allerdings besitzt klassische Verve. 

Concertino für Horn und Orchester D-Dur MH 134

Das Konzert mit der untypischen Satzfolge Larghetto, Allegro non troppo und Menuett entstand Ende der 1860er Jahre und könnte konzertanter Teil einer Serenade gewesen sein, die verloren gegangen ist, aber ebenso ein bewusster Beitrag Haydns zur abendlichen Unterhaltung seines Dienstherrn mit dem hochgeschätzten Soliten Joseph Leutgeb. Auf den sehr eingängig-gefühlvollen ersten Satz folgen eher konventionelle Allegro- und Menuett-Sätze.

Concertino für Trompete und Orchester C-Dur MH 60

Die beiden Sätze dieses Original-Concertinos (Adagio, Allegro molto) aus dem Jahr 1763 gelten als schwierig für den Solisten, der von Streichern und zwei Flöten begleitet wird. Das mag auch daran liegen, dass der erste Satz 2 fast unverändert aus dem Violinkonzert G-Dur MH 52 übernommen wurde, ein zur damaligen Zeit durchaus übliches Vorgehen, mit dem jedoch einige extrem hohe Lagen für den Bläser-Solisten verbunden sind.

Flötenkonzerte

Zwei Konzerte sind erhalten, D-Dur MH 81 und D-Dur MH 105. Beide stammen etwa aus der gleichen Zeit zwischen 1766 und 1768 und haben die übliche dreisätzige Form. Das Orchester besteht hauptsächlich aus Streichern teilweise unterstützt von zwei Hörnern. Zwei Auffälligkeiten: im Schluß-Menuett! von MH 81 taucht das Soloinstrument lediglich im Trio auf, im Finale von MH 105 (Allegro assai) erlaubt sich Haydn eine fast spielerische Stimmung gepaart mit hochvirtuosen Solopassagen.

Violinkonzerte

Sherman verzeichnet drei Konzerte: B-Dur MH 36 mit der Satzfolge Allegro moderato, Adagio, Allegro molto, G-Dur MH 52 mit der Satzfolge Moderato, Adagio amoroso, Allegro (entstanden ca. 1762 in Großwardein) und A-Dur MH 207 (wahrscheinlich geschrieben 1776) mit der Satzfolge Allegro ma non troppo, Adagio, Rondeau: Presto. Während die beiden frühen Konzerte ausschließlich von Streichern begleitet werden und an die ähnlich gestalteten Konzerte von Bruder Josef erinnern, unter dessen Namen zumindest das G-Dur-Stück zunächst erschienen ist, setzt Michael Haydn im A-Dur-Konzert auch Oboen und Hörner ein, ganz zu schweigen von diversen technischen Schwierigkeiten für den Solisten, die in den frühen Konzerten nicht vorkommen. Möglicherweise wurde Haydn hierzu von seinem Freund Mozart angeregt, genauso gut möglich scheint, dass er im Gegenzug wiederum den Jüngeren beeinflussent hat. Im Gegensatz zu den kurz geratenen Flötenkonzerten sind alle drei Violinkonzerte ´ausgewachsene` Kompositionen, die auch im Konzert gefallen würden, glücklicherweise gibt es eine Reihe von guten Tonaufnahmen. Interessant: schon 1969 hat Arthur Grumiaux mit Edo de Waart am Pult des Concertgebouw Orchesters bis heute als einziger der ´großen` Geiger dieses Konzert eingespielt, romantisierend, aber enorm ausdrucksvoll.

Nachbemerkung: Das Adagio amoroso aus dem G-Dur-Konzert scheint Haydn besonders gefallen zu haben, denn er hat es fast unverändert – mit einigen zusätzlichen Bläserstimmen – als zweiten Satz seines Concertinos für Trompete und Orchester C-Dur MH 60 verwendet.

Konzert für Orgel (oder Cembalo), Viola und Streicher MH 41

Ein frühes, allein wegen seiner ungewöhnlichen Besetzung hochinteressantes Stück, das aus der Zeit in Großwardein stammt und sich besonderer Beliebtheit zu erfreuen scheint, denn es liegt in diversen Einspielungen für beide Besetzungs-Modalitäten vor. In der Grundstimmung ist das Konzert noch im Barock verankert, auch wenn im ersten Satz (Allegro moderato) in seiner Eleganz leise Anklänge an Mozarts Sinfonia Concertante KV 364 zu hören sind. Besonders schön im zweiten Satz (Adagio sostenuto) das Konzertieren der beiden Soloinstrumente, zu dem das einfache und dennoch profunde Thema geradezu einlädt. Den Schluss bildet ein Prestissimo-Finale, das nicht ganz das Niveau der beiden ersten Sätze hält.

Cellokonzert B-Dur

Die Autorschaft dieses Cellokonzerts in B-Dur ist nicht zweifelsfrei geklärt, die Wahrscheinlichkeit spricht aber Michael Haydn. Das dreisätzige Stück mit den Sätzen Moderato, Romanze: Andante, un poco adagio und Finale: Rondo besticht durch ein insbesondere im ersten Satz ausgeprägten Dur-Moll-Wechsel und überraschende chromatische Wendungen und kann sich durchaus neben den Konzerten des Bruders sehen lassen und stellt für Cellisten eine interessante Repertoire-Erweiterung dar.

Nicht ohne Grund gilt Haydn als einer der wichtigsten Kirchenmusik-Repräsentanten des 18. Jahrhunderts. Seine 40 Messen (32 lateinische, davon 3 fragmentarische sowie 8 deutsche Messen, wobei letztere im Gegensatz zu den lateinischen Messen kaum beachtet werden), zwei Requien, 5 Te Deum-Vertonungen, mehr als 100 Gradualien, 45 Offertorien, eine Reihe von Responsorien für Weihnachten und die Karwoche sowie zahlreiche weitere kirchenmusikalische Werke wie Vespern, Litaneien sprechen eine deutliche Sprache. Dabei stand die Kirchenmusik – anders als in Großwardein – in Salzburg zunächst eher am Rand seiner Tätigkeit. Stattdessen fand Haydn neben den Bühnenwerken für einige Jahre ein weiteres Aufgabenfeld im Bereich von Festkantaten, das Haydn bis in die 1780er Jahre bediente. Es begann 1765 mit der Kantate Ninfe inbelli MH 73, einer Huldigungs-Kantate zu Ehren von Prinzessin Maria Josepha von Bayern, die auf dem Weg zu ihrer Hochzeit mit Kaiser Joseph II. im Kloster Lambach Station machte. Zu Ehren der Prinzessin komponierte Haydn einmal ergänzt durch eine kurze Chorpassage eine schwungvolle Abfolge von Arien und Rezitativen für Sopran. Ein Jahr später folgte Eliezer oder Rebekka als Braut MH 76 zur Weihe der Äbtissin am Stift Nonnberg, auf einen Text, der dem Buch Genesis, Kapitel 24 entnommen ist. Besonders eindrucksvoll daraus die Arie der Noema ´Ach scheide nicht von mir`, die stilistisch bereits auf die reife Spätzeit der Klassik verweist. Weitere Kompositionen dieser Art waren Quid video MH 144 (1970), Amor subditorum MH 289 (1780) und Jubelfeier MH 449 (1787). Daneben war Haydn zwischen 1767 und 1771 auch an der Komposition der dreiteiligen Oratorien, die jeweils auf drei Komponisten aufgeteilt wurden, zur Fastenzeit beteiligt. 1767 ´Die Schuldigkeit des ersten und fürnehmsten Gebotes .. in drei Teilen`, leider ist Haydns Beitrag verloren gegangen. 1768 folgte im Rahmen der Fastenoratorien ´Der Kampf der Buße und Bekehrung MH 106`, ein Jahr später dann ´Kaiser Konstantin I` MH 117 und in den Folgejahren Der reumütige Petrus MH MH 138 (1770), sowie Der büßende Sünder MH 147 (1771). Diese Kompositionen sind alle als ´Geistliche Singspiele` anzusehen und ähneln stilistisch den beiden opernähnlichen ´Serenatas` in ihrer regelmässigen Abfolge von Arie und Rezitativ mit kurzen Chor-Einschüben. Mit dem Tod von Fürsterzbischoff Schrattenbach im Dezember 1771 endete die Zeit der Schuldramen und Fastenoratorien und für Haydn begannen die Jahre, in denen er sich verstärkt der Kirchenmusik zuwandte, nicht zuletzt, weil die höfischen Feste von wandernden Schauspieltruppen saisonweise gestaltet wurden. Seine großen Fähigkeiten auch als Komponist von Kirchenmusik stellte Haydn bereits 1771 unter Beweis, als er innerhalb von 14 Tagen die Totenmesse für seinen verstorbenen Landesherrn schuf. Der Überblick beginnt mit den beiden Requien, es folgen die Messen und weitere Hinweise auf wichtige Werke aus Haydns kirchenmusikalischem Schaffen. 

Requiem c-moll MH 155

Durchaus denkbar, dass Haydn dieses grandiose Werk nicht nur in Gedenken an seinen Landesvater geschrieben hat, sondern auch an seine zu Beginn des Jahres 1771 verstorbene Tochter, deren früher Tod ihn verständlicherweise extrem erschüttert hatte. Die Besetzung umfasst gemischten Chor und vier Solisten, die Instrumentierung besteht neben Streichern und Continuo aus vier Trompeten, drei Posaunen, 2 Fagotten und Pauke. Folgenden Ablauf der Totenmesse hat Haydn gewählt:

  1. Introitus (Requiem aeternam und Kyrie – Chor, Solisten)
  2. Dies irae (Chor, Sopran, Mezzosopran, Tenor, Bass)
  3. Offertium (Rex gloria – Tenor, Bariton, Bass, Chor, Sopran), Quam olim Abrahae (Chor), Hostias et preces (Solisten), Quam olim Abrahae (Chor)
  4. Sanctus (Chor, Solisten)
  5. Benedictus qui venit (Solisten, Chor)
  6. Agnus Dei et Communio (Agnus Dei – Solisten, Chor, Cum sanctis tui – Chor, Requiem aeternam – Solisten, Cum sanctis tui – Chor)

In der Literatur wird mehrfach auf Parallelen und Ähnlichkeiten zwischen Haydns Werk und Mozarts 20 Jahr später entstandenem Requiem hingewiesen, zurecht, denn schon im Eröffnungssatz sind rhythmische (Beginn der Chorfuge) und melodische (et lux perpetua) Gemeinsamkeiten zu hören. Dies ist sicher kein Zufall, denn wahrscheinlich haben bei der ersten Aufführung im Salzburger Dom auch Mozart Vater und Sohn mitgespielt. Und Wolfgang ist bekannt dafür, dass er ganze Stücke nach nur einmaligem Hören vollständig wiedergeben konnte. Wie dem auch sei: die Parallelen sind nicht zu überhören, auch nicht im ´Dies irae` oder der Eröffnung des ´Domine Jesu Christe`.

Die Ironie des Schicksals will es, dass auch Haydn als letztes Werk ein unvollendetes Requiem hinterlassen hat (ein vermeintliches drittes Requiem stammt nachweislich nicht von ihm, obwohl von Sherman mit MH 559 versehen, sondern von einem Zeitgenossen namens Georg Pasterwiz).

Requiem B-Dur MH 838

Die Komposition begann Haydn in seinem Todesjahr im Auftrag des Wiener Hofes, konnte aber lediglich Introitus und Kyrie fertigstellen und das Dies irae beginnen. Anders als Mozart hinterliess Haydn keinerlei Skizzen zur Weiterführung des Werks, 1839 aber machte sich Pater Gunther Kronecker an die Vervollständigung., orientierte sich dabei an Haydns erstem, seinem vermeintlichen zweiten und natürlich Mozarts Requiem. Abgesehen davon, dass sich das vollständige Werk nicht gerade durch eine konzise Faktur auszeichnet, sind stilistische Brüche hörbar, auch wenn Kroneckers vielfach lyrisch-kantable Ergänzungen, die einen Bogen in die Musik der Frühromantik schlagen, nicht ohne Reiz sind.

Messen

Bereits in Großwardein komponierte Haydn zahlreiche Kirchenmusikwerke mit deutlichem Schwerpunkt auf Messen, aber es entstanden dort auch andere Stücke wie das Ave Regina caelorum MH 140 oder die frühen Salve Regina Vertonungen MH 29-34.

Zu den Messen zählen die Missa Sancti Cyrilli et Methodi MH 13 und Missa Beatissima Virginis Mariae MH 15, mit denen Haydn bereits früh den ´frühbarocken Pfad` der Caldara und Fux (um nur zwei der Einflüsse zu nennen) zu verlassen begann. Die Missa C-Dur MH 42 und C-Dur MH 44, die beide mit hoher Wahrscheinlichkeit 1758 in Großwardein entstanden sind, gehören zur Kategorie Missa brevis, auch wenn alle mit Kyrie, Gloria, Credo, Sanctus, Benedictus und Agnus Die alle üblichen Teile enthalten sind. In MH 44 findet sich als Einschub vor dem Schlußteil noch ein kurzes fugiertes Osanna. Beide Kompositionen überraschen mit einer großformatigen Besetzung incl. vier Solisten. Gesichert in Großwardein komponiert sind darüber hinaus die Missa Sanctae Crucis MH 56, eine kompakte A-cappella-Vertonung des Messetextes für vierstimmigen Chor, die durch formale Klarheit und tiefen Ausdruck besticht. Bemerkenswert sind die paarweisen Stimmkombinationen besonders im Kyrie und Agnus Die. Mit MH 56 und der Missa Dolorum Beate Virginis Mariae MH 57, beginnt Haydns Stilwandel sich endgültig zu manifestieren. Seine erste großformatige Messe aus dem Jahr 1768 für Frauen- oder Knabenchor und zwei Soprane war die Missa Sancti Nicolai Tolentini MH 109, geschrieben für das Augustiner-Kloster in Mülln. Stilistisch wandelt Haydn hier wieder eher auf den Spuren seiner Studienobjekte, abgesehen vielleicht von der einen oder anderen melodisch-empfindsamen Passage wie im Qui tollis oder dem Duett im Et incarnatus.

Missa Sancti Francisci Seraphici MH 119

Mit diesem Titel schrieb Haydn 2 Messen, die 1803 von Maria Theresia beauftragte mit der Bezeichnung MH 836 (s.u.) sowie die Messen MH 43 und MH 119, letztere eine salzburger Umarbeitung der in Großwardein entstandenen Urfassung. Gesetzt für vierstimmigen Chor, instrumentiert mit 4 Trompeten, Pauken, Streichern, Orgel oder Continuo fehlt dem Werk trotz seines insgesamt festlichen Charakters die Originalität, die sich erst zum Ende einstellt, besonders im Dona nobis pacem.

Missa Sancti Joannis Nepomucini MH 182

Die Messe aus dem Jahr 1772 ist dem böhmischen Märtyrer Johannes Nepomuk gewidmet. Die Messe entspricht trotz der orchestralen Zugabe von 2 Oboen, 4 Trompeten – davon 2 Clarinos und Pauken eindeutig dem von Colloredo geforderten ´Ideal`. Sie ist fast durchweg homophon für vierstimmigen Chor ohne Solisten gebaut und selbst im Gloria und Credo verzichtet Haydn auf virtuose Passagen.

Die Missa Sancti Amandi MH 229 (auch Lambacher Messe) entstand 1776 als Auftragswerk des oberösterreichischen Benediktinerstiftes Lambach. Alle Sätze stehen in C-Dur, was nicht der damaligen Praxis entspricht, denn einzelne Abschnitte wie Benedictus oder auch Agnus Dei wurden traditionell in der Dominante/Subdominante oder den parallelen Dur-/Molltonarten gesetzt. Weiterhin fällt auf, dass durchgehend das gesamte Instrumentarium zu hören ist, mit der Ausnahme des Cruzifixus, in dem die Trompeten pausieren. Das Cruzifixus gehört im übrigen ebenso wie das Et incarnatus zu Haydns schönsten kirchenmusikalischen melodischen Einfällen.

 

Missa Sancti Hieronymi  MH 254

Diese Messe aus dem Jahr 1777 wird auch als ´Oboenmesse` bezeichnet, denn Haydn verzichtete bei der Instrumentation komplett auf Streicher und verwendete neben den Oboen (6 an der Zahl) lediglich 2 Fagotte, 3 Posaunen und eine Orgel, die auch durch das Continuum ersetzt werden kann. Damit nimmt diese Komposition nicht nur in Haydns Schaffen, sondern auch ganz generell in der Kirchenmusik eine Sonderstellung ein. Die Missa Sancti Hieronymi gilt zurecht als ein Meisterwerk – insbesondere die Chorsätze überzeugen formal und melodisch -, was bereits Leopold Mozart nach der Uraufführung in einem Brief an Sohn Wolfgang bestätigt hat.

Missa Sancti Aloysii MH 257

Diese Messe stammt ebenfalls aus dem Jahr 1777, sie kam nur wenige Wochen nach MH 254 zur Uraufführung im Salzburger Dom zur Feier der ´Unschuldigen Kinder`. Trotz der unterschiedlichen Besetzung (MH 254 mit gemischtem Chor, der kraftvollen Instrumentierung und ausgedehnten solistischen Passagen, MH 257 für Knabenchor mit Orgelbegleitung neben 2 Violinen und Basso continuo) kann man der späteren Messe eine meisterhafte Umsetzung des liturgischen Gehalts in Musik bescheinigen. Besonders hervorzuheben ist der vielfache Gebrauch von Zitaten aus dem Gregorianischen Choral (im Gloria, Credo und Dona nobis).

Missa in honorem Sancti Ruperti MH 322

Zur 12. Säkularfeier des Salzburger Erzbistums steuerte Haydn die auch ´Jubiläumsmesse` genannte Komposition bei, ein dem Anlass angemessen festliches Werk für gemischten Chor und Solisten  begleitet von Streichern, Oboen, Hörnern, Trompeten und Pauke sowie Orgel.

Missa a due cori (Missa Hispanica) MH 422

Vermutlich hat Haydn diese Messe im Auftrag des spanischen Hofs geschrieben, ein Beweis dafür allerdings existiert genauso wenig wie der Nachweis einer Aufführung in Spanien zu Haydns Lebzeiten. Die Messe wurde im Jahr 1792 zum ersten Mal aufgeführt im Kloster Kremsmünster, 4 Jahre später folgte eine Aufführung in Salzburg. Die Komposition ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert: da ist zum einen die Instrumentierung mit 2 Oboen, 2 Fagotten, 2 Hörnern, 2 Trompeten und Pauke neben den üblichen Streichern, zum anderen die Besetzung mit 2 vierstimmigen Chören neben 4 Solisten. Auffällig auch die mit einer knappen Stunde Spieldauer ungewöhnliche Länge der Messe, die jedoch formal dem ´normalen` Schema folgt. Sie steht in der Grundtonart C-Dur mit den traditionellen Wendungen nach F-Dur und G-Dur im Qui tollis resp. Et incarnatus est. Jancik bezeichnet die Messe als ´Meisterwerk`, eine trotz mancher Längen durchaus gerechtfertigte Einschätzung, ist die Messe mit 4 Fugen zugleich hoch virtuos und melodisch ansprechend gesetzt. Die Aufführungen des Glarner Singvereins und dem Kammerchor Zürich 2022 und des RIAS Kammerchors in der Berliner Philharmonie 2023 (leider nur Kyrie und Gloria) lassen jedenfalls auf eine dauerhafte Wiederbelebung hoffen.

Missa in honorem Sanctae Ursulae MH 546

Vollendet hat Haydn diese ´mozartischste` (Armin Kircher) seiner Messen 1793. Sie zählt nach übereinstimmender Meinung verschiedener Fachleute zu seinen gelungensten Messe-Vertonungen. Der Beiname ´Chiemseemesse` entstand aus der Entstehungsgeschichte des Werks: Haydn schrieb sie für eine begabte junge Sängerin namens Ursula Oswald, die im Entstehungsjahr ihre Profess im Kloster Frauenchiemsee ablegte und fortan Maria Sebastiana genannt wurde. Die Messe ist gesetzt für gemischten Chor, vier Solisten und den üblichen Violinen und Basso continuo ergänzt durch 2 Trompeten sowie 2 Pauken. Die meisten Sätze der Messe stehen in C-Dur (Ausnahmen: Et incarnatus est (a-moll) und Benedictus (G-Dur). Eindeutiger Mittelpunkt des Werks ist das Credo, das mit motivischen Anklängen an die Gregorianik einsetzt und die Einzelsätze sehr überzeugend miteinander verbindet. Melodisch angemessen ansprechend und anrührend das folgende Benedictus, während der Schlußsatz nach einem sich langsam entfaltenden Agnus Die mit einem freudigen Dona-nobis-pacem-Allegro endet. Sehr schade, dass dieses Werk nicht häufiger live zu hören ist.

Missa pro Quadragesima MH 551, Missa Quadragesimalis MH 552, Missa Tempore Quadragesimae MH 553

Drei in den Mitteln (Orgelbegleitung) und dem Stil (rein homophon) eher schlichte Kompositionen aus dem Jahr 1794 (allerdings ist MH 552 ist eine Umarbeitung einer Komposition aus Jahr 1762 – Missa Dolorum Beatissimae Virginis Mariae MH 57), die alle drei den Forderungen der liturgischen Reform durch Erzbischoff Colloredo entspricht. Die Messen sind ohne Gloria geschrieben.

Missa sub titulo Sancti Francisci Seraphici, MH 826

Den Auftrag zu dieser Messe zu Ehren ihres Ehemannes Franz I. erhielt Haydn von Kaiserin Maria Theresia. Er vollendete die Komposition 1803, eine Aufführung in Wien in Anwesenheit des Kaiserpaares ist nicht gesichert. Das Werk ist sehr umfangreich, nutzt ein sehr reiches Instrumentarium mit einer großen Palette an Klangfarben. Es steht in weiten Passagen in strengem Fugen-Stil, eine überraschende Besonderheit bietet das Agnus Dei mit der für Haydn einzigartigen Idee, das Solo-Streichquartett immer wieder aus den Streicher-Tutti herauswachsen zu lassen.  

Missa Sancti Leopoldi MH 837

Das letzte im Dezember 1805 vollendete Werk Haydns, es entstand für die Salzburger Kapellknaben, mit denen er sich naturgemäß zeitlebens sehr verbunden fühlte. Wie alle für die Chorknaben geschriebenen Werke ist auch MH 837 stilistisch eher einfach gehalten, ohne in Banalität abzugleiten. Im Benedictus greift Haydn die Tradition der „Orgelsolo-Messe“ auf, indem er diesen Teil als solistischen Satz mit konzertierender Orgel schreibt.

 

Deutsches Hochamt

 

Mehrfach vertonte Haydn den 1777 verfassten Text von Franz Seraph von Kohlbrenner, den er in seinem Landshuter Gesangbuch unter dem Titel ´Deutsches vollständiges Hochamt` veröffentlicht hatte. Bekannt sind diese Messen auch unter der ersten Zeile des Eröffnungslieds ´Hier liegt vor Deiner Majestät`. Sie bestehen aus insgesamt 10 Messliedern, bei denen die üblichen Teile der lateinischen Messe mit 4 Einschüben ergänzt werden: Evangelium, Offertorium, Communion und zum Abschluß Ite missa est. Die bekanntesten Hochämter sind MH 536, MH 560, MH 602 und MH 642.

Sonstige Geistliche Werke

Schon früh begann Haydn mit Te Deum-Vertonungen, es beginnt mit dem festlich-prächtigen Te Deum C-Dur MH 28 für vierstimmigen Chor, Streicher, Trompeten und Pauken und Orgel, wahrscheinlich 1760 komponiert. Es ist das erste von insgesamt 5 dieser Lobgesänge. Die Reihe endet mit dem meisterlichen, noch einen Grad festlicheren Te Deum D-Dur MH 829 aus dem Jahr 1803, das Maria Theresia zum Namenstag ihres Ehemanns Franz II. bestellt hatte und 1804 in Wien zum ersten Mal zu hören war.

Aus der Vielzahl der sonstigen geistlichen Kompositionen Haydns ragen heraus das Ave Maria MH 72, eine der frühesten Salzburger geistlichen Kompositionen Haydns, vermutlich entstanden 1765, das Offertorium ´Ternite Dominum` MH 256, das zum erstenmal zusammen mit der Missa Sancti Hieronymi 1777 erklang (wofür die deckungsgleiche Instrumentierung spricht). Sehr hörenswert auch das Offertorium ´Anima nostra` MH 452 aus dem Jahr 1787, das Haydn wie diverse weitere Stücke für seine ´lieben Chorknaben` geschrieben hat, deren hohe virtuose Qualitäten im anspruchsvollen Satz deutlich wahrnehmbar sind. 

Die im wesentlichen zwischen 1783 und 1798 entstandenen Gradualien haben ebenso wie Haydns weitere kirchenmusikalischen Beiträge besonders tiefen Eindruck bei Franz Schubert hinterlassen, ein Einfluß, der sich in diversen seiner Werke wiederfindet. Ihre geringe Verbreitung und Bekanntheit bis weit ins 20. Jahrhundert hinein ist schlicht damit zu erklären, dass Kirchenmusik kaum gedruckt und lediglich in Abschriften von Kloster zu Kloster weitergegeben wurde, sie also so gut wie nie in den aufkommenden Musikalienhandel kam. Das hat sich seit einiger Zeit durch die lobenswerte Aktivität des Carus-Verlags entscheidend verändert

Streichquartette

Sechs Streichquartette (MH 308-13) sind von Michael Haydn überliefert, wahrscheinlich sind alle vor 1780 entstanden. Bis auf eine Ausnahme sind sie dreisätzig – analog den frühen Mozart-Quartetten – und waren vermutlich als Untermalung für Festbankette gedacht. Mit ihrem stets konzisen Charakter und der eingängigen Melodik stehen sie eher in der Barock-Tradition als dass sie auf die kommende Entwicklung der Gattung Streichquartett hinweisen.

Streichquartett B-Dur MH 308

Satz 1 (Andante commodo) folgt der Sonatenform mit zwei eher wenig kontrastierenden, lieblichen Themen. Das folgende Menuetto mit Trio greift den rhythmischen Impuls des ersten Satzes auf, das abschliessende Rondo (Allegro) weist der ersten Violine eindeutig die Führungsrolle zu.

Streichquartett Es-Dur MH 309

Zu Beginn (Andante) erklingt ein kleines Violinkonzert, bestimmt von einem lyrischen Thema und Triolen, die sich auch im zweiten Satz (Minuetto) melden, im Trio bei unverändertem Grundthema chromatisch aufgefächert. Der hübsche Schlußsatz (Allegretto) endet leider viel zu schnell.

Streichquartett A-Dur MH 310

Die Satzbezeichnungen lassen es nicht vermuten, sie lauten schlicht Andante, Menuetto und Rondo, aber  im zweiten Satz mit dem Beinamen ´alla Franzese`wird deutlich, dass Haydn hier den französischen Stil aufgreift. Besonders deutlich wird das im Finale, das die Form einer Gavotte hat.

Steichquartett g-moll MH 311

Das einzige Quartett in einer Moll-Tonart, die Stimmung allerdings hellt sich nach dem ausgedehnten ersten Satz (Andante un poco Allegro) im folgenden Andante grazioso merklich auf, auch wenn der Satz keineswegs einen reinen Ruhepol darstellt. Das Menuett stellt Haydn in diesem Werk ans Ende, kehrt dabei zum Moll zurück und ersetzt die erwartbare Dreiteiligkeit durch einen Variationssatz.

Streichquartett F-Dur MH 312

Das einzige Quartett mit vier Sätzen (Allegro moderato, Minuetto, Adagio, Finale: Allegro). Im gesamten Konzert, besonders aber im ersten Satz fällt das häufige Dialogisieren der Instrumente auf. Im Menuett ist dieses Prinzig ausgeprägt im Trio zu hören, wenn zunächst die erste Violine, dann das Cello eine Passage eröffnet. Das ´singuläre` Adagio erweist sich als ein ausdrucksvolles Zwischenspiel vor einem fröhlichen Finale, in dem aber auch immer wieder kurze Moll-Trübungen erscheinen.

Streichquartett C-Dur MH 313

Schon die Satzbezeichnungen der drei Sätze lassen vermuten, dass es nicht ganz so ruhig zugehen wird in diesem letzten Streichquartett. Andante un poco Allegro, Menuetto un poco Allegro und zum Schluß Finale Allegro. Und in der Tat: das Stück lebt von durchweg unruhigen Rhythmen, wobei es seine klassischen Proportionen und eingängige Melodik beibehält.

Streichquintette

Ähnlich wie die Quartette sind Haydns Quintette nicht für den Konzertsaal gedacht, sondern als Konzerte unter freiem Himmel, als ´Ständchen` oder als festliche Begleitmusik. Darauf deuten auch die partiellen Bezeichnungen Divertimento oder Notturno hin, wobei Haydn mehrfach auch die klassische Viersätzigkeit überschreitet. Die Besetzung besteht aus zwei Violinen, zwei Bratschen und einem ´Basso`, der dem Cello zugeordnet wird (Ausnahme das dritte Konzert MH 367). Die Stücke sind allesamt kurzweilig und einfach gesetzt, ohne tieferen Anspruch und dennoch haben sie ihre Wirkung auf den jungen Mozart nicht verfehlt. In der Reihenfolge der Entstehung sind es folgende Werke:

Streichquintett C-Dur MH 187

Geschrieben 1773, besteht dieses Quintett, das auch als Notturno bezeichnet wird und ausser in der Originalbesetzung auch als Trio oder erweitert für Kammerorchester vorliegt, aus den folgenden vier Sätzen: Allegro spirituoso, Adagio cantabile, Menuetto: Allegretto und Finale: Allegro molto. Der erste Satz erscheint zunächst fast monothematisch, aber ganz spät meldet meldet ein zweites Motiv, das zudem in der Durchführung noch um ein weiteres Motiv ergänzt wird. Nach einem zunächst konventionell klingenden Adagio, in dem eine plötzliche Mollwendung aufhorchen lässt, folgen ein Menuett, dessen Trio choralartige Elemente enthält (ähnlich wie in Mozarts Sinfonie Es-Dur KV 132) und ein flottes, formal kaum greifbares Finale (weder Sonaten- noch Rondosatz).

Streichquintett G-Dur MH 189

Ebenfalls 1773 geschrieben und auch mit dem Untertitel Notturno versehen, folgt dieses Quintett dem gleichen Schema wie sein Vorgänger. Die Sätze lauten Allegro, Adagio affettuoso, Menuetto: Allegretto, Trio sowie Finale: Presto. Zur Eröffnung ein kurzer Sonatensatz, dann folgt mit dem Adagio der an Ausdehnung und Gehalt wichtigste Satz des Stücks. Das eigentliche Thema voller seufzender Rufe erhält kurze Zusätze, die sich in der Folge immer wieder in das Hauptthema ´einmischen` und für laufende Echo-Effekte sorgen. Im Menuett erzeugt wieder das Trio durch eine überraschende Moll-Kadenz große Aufmerksamkeit. Das Finale wird bestimmt von einem etwas ´zackigen` Thema, das aber gegen Ende zwischenzeitlich liedhafteren Charakter annimmt. 

Streichquintett F-Dur MH 367

Dieses Quintett aus dem Jahr 1774 ist insofern ein Sonderfall als hier in frühen Quellen tatsächlich ein Kontrabass als tiefes Instrument vorgeschrieben ist. Aber da in späteren Veröffentlichungen konsequent von ´Violoncello` die Rede ist, scheint die inzwischen klassische Besetzung mehr als akzeptabel. An der Satzfolge hat sich lediglich der Tausch zwischen Adagio und Menuett geändert, die Sätze lauten: Adagio molto, Menuetto I – Allegretto – Menuetto II, Adagio und Finale: Rondeau Presto. Das Hauptgewicht liegt auch hier auf dem langsamen Satz, dem ein flotter erster Satz in Sonatenform und ein eher konventionelles Menuett vorangestellt sind. Das Adagio ist einer großen Gesangsszene, einer Opernarie nachgebildet, an deren Ende ein über alle Instrumente verteilter Koloraturteil steht. Ein fröhliches Rondo beschließt dieses Stück.

Streichquintett F-Dur MH 411

Mit diesem 1786 entstandenen Werk verlassen wir die eigentliche Sphäre des Streichquintetts und erreichen das mehrsätzige Divertimento. MH 411 hat sieben Sätze, die folgendermassen bezeichnet sind: Allegro aperto, Menuetto – Trio, Andante, Menuetto: Allegretto – Trio, Un poco Allegretto, Finale: Rondo – Vivace assai, Marcia – Andantino. Die Quintettform wird also erweitert um jeweils ein weiteres Menuett und einen zusätzlichen langsamen Satz sowie den obligatorischen abschliessenden Marsch. Insgesamt ist der musikalische Tonfall leichter, populärer, insbesondere in den beiden Menuetten. Der zweite langsame Satz besteht aus einem Thema und sechs Variationen, in denen Haydn für jedes der Instrumente (Ausnahme: das Cello) ein Solo eingearbeitet hat.

Streichquintett B-Dur MH 412

Ebenfalls ein Divertimento aus dem Jahr 1786, der einzige Unterschied: das zweite Menuett steht hinter dem zweiten langsamen Satz. Im einzelnen lauten die Sätze: Allegro con garbo, Menuetto: Moderato – Trio, Largo, Allegretto mit sechs Variationen, Menuetto: Allegretto – Trio, Finale: Presto. Auffällig im Variationssatz der fünfte Teil, der den Zusatz ´senza rigor di tempo` trägt und als Rezitativ ohne vorgeschriebenes Tempo gefasst ist. Den Grundton des Stücks gibt der erste Satz (con garbo, also mit Anmut, liebenswürdig) vor, wobei die leichten Moll-Trübungen im Trio des ersten Menuetts und die fünfte Variation im folgenden Largo etwas aus dem Rahmen fallen. Alle anderen Sätze entsprechen genau dieser Grundstimmung. Ein abschließender Marsch kann hier ad libitum eingebaut werden.

Der Begriff Divertimento umschreibt eine Gattung ´leichter` nicht-orchestraler Kompositionen, von denen sich etwa ab 1780 die formal stringenteren, ´ernsten` Werke der Kammermusik, insbesondere das Streichquartett und – quintett, ablösten. Das Divertimento diente der Unterhaltung, seine Besetzungen variierten zwischen reinen Streicher-, Bläser- oder gemischten Ensembles, die Zahl der Sätze konnte zwischen zwei und zehn liegen.

Michael Haydn hat nach Sherman mehr als 30 solcher Werke komponiert (incl. der als Notturno und Cassation bezeichneten Stücke), den Hauptteil während der Salzburger Jahre. Aus der großen Zahl sind bisher nur eine Handvoll eingespielt worden, so mehrfach (in unterschiedlicher Besetzung) das Divertimento C-Dur MH 179  vermutlich nicht zuletzt wegen seiner hohen virtuosen Ansprüche sowie – mit geringerer Resonanz – zwei Frühwerke, das Divertimento Es-Dur MH 9 und C-Dur MH 27 und das Divertimento Es-Dur MH 516, das mit seinen acht Sätzen und der gemischten Besetzung für Violine, Viola, Klarinette, Horn, Fagott und Bass überrascht und einige hochspannende, zukunftsweisende Momente aufweist. In diese Kategorie fällt auch eine Komposition, die mal als Divertimento, mal als Quartett für Englischhorn und Streicher C-Dur MH 600 bezeichnet wird, also die typische Zwischenform, die hier und da schon bei den Streichquartetten und – quintetten (natürlich ohne Bläserergänzung) zu finden war. Eine weitere Erkundung des umfangreichen Materials aus dem Bereich ´Unterhaltungsmusik` Michael Haydns ist eine Herkulesaufgabe, dürfte aber trotz seines handwerklich über jeden Zweifel erhabenen Könnens für den musikalischen Erkenntnisgewinn nur wenig erfolgversprechend sein.    

 

Duette für Violine und Viola MH 335 – MH 338 und KV 423 und KV 424

 

1783 erhielt Haydn den Auftrag, sechs Duette für Violine und Viola zu schreiben. Infolge einer Erkrankung konnte er lediglich vier vollenden, sein Freund Wolfgang Amadeus Mozart sprang ein und schrieb die fehlenden zwei. Zunächst wurden alle sechs Stücke unter dem Namen Haydns veröffentlicht, erst später die beiden letzten als Kompositionen Mozarts identifiziert; sie erhielten im Köchel-Verzeichnis die Nummern KV 423 und KV 424. Zweifel an dieser vielfach verbreiteten Geschichte meldete Paul Angerer in den ´Mitteilungen der Internationalen Stiftung Mozarteum` 1995 an, so dass  Spekulationen, Mozart habe sich in der Kompositionsweise an von Haydn öfter verwendete Elemente angepasst eher nutzlos scheinen, denn in der Klangsprache sind durchaus Unterschiede erkennbar, insbesondere in der Behandlung der beiden duettierenden Instrumente. Ein Hörvergleich zwischen Haydn und Mozart ist nicht nur unter diesem Aspekt von hohem Reiz. Die sechs Stücke sind wie folgt bezeichnet:

Duett für Violine und Viola Nr. 1 C-Dur MH 335

Duett für Violine und Viola Nr. 2 D-Dur MH 336

Duett für Violine und Viola Nr. 3 E-Dur MH 337

Duett für Violine und Viola Nr. 4 F-Dur MH 338

Duett für Violine und Viola G-Dur KV 423

Duett für Violine und Viola B-Dur KV 424

 

Alle Duette ähneln sich formal sehr stark, sie bestehen aus drei Sätzen (schnell – langsam – schnell),  bei Haydn ist deutlich erkennbar fast durchgehend die Violine das Führungsinstrument mit einer zeitweise in heikle hohe Lagen mündende Stimmführung. Für die Viola bleibt zumeist lediglich die konventionelle Begleit-Basslinie. Seltene Ausnahmen bestätigen die Regel, z.B. im Duett Nr. 1 C-Dur MH 335 im abschließenden Rondo, wenn die Viola das Thema aufgreifen und sogar einige virtuose Sechzehntel-Läufe spielen darf oder im Schlußsatz des vierten Duos F-Dur MH 338, wenn die Viola die Führung bei der vierten Variation übernimmt. Im Gegensatz dazu baut Mozart seine beiden Duette im wesentlichen als Konversationsstücke der Instrumente auf, die Viola ist – fast – durchgehend gleichberechtigte Partnerin der Violine. Darüberhinaus stattet Mozart KV 424 mit einer kurzen langsamen Einleitung aus. Der kompositorische Qualitätsunterschied allerdings ist mitnichten so groß, dass die totale Vernachlässigung der Haydnschen Stücke gerechtfertigt schiene. Angerer stellt zurecht fest: ´Die vier Duette von Michael Haydn können für sich bestehen: sie sind in Haydns gewohnter Manier gut gearbeitet , musikalisch wertvoll und in dieser Literatur zweifellos ein Höhepunkt.`  

Notturno für Streichquartett und 2 Hörner F-Dur MH 185

1772 entstanden, folgt das Werk in seiner Viersätzigkeit bereits dem Sonatenzyklus, allerdings mit der Einschränkung, dass das Menuett dem Adagio vorangestellt ist. Dieser dritte Satz bleibt jedoch in seiner ausschließlich von den Streichern bestimmten verträumten Stimmung das formale Zentrum.

Von Haydn sind gut 20 Bühnenwerke bekannt, von denen einige ganz oder teilweise verschollen sind. Zu berücksichtigen ist zudem, dass nur ein Teil dieser Stücke der Kategorie Bühnenmusik, Oper oder Singspiel zuzuordnen ist. Ich beschränke mich in diesem Teil auf die Werke, die auf Tonträger eingespielt wurden. Geistliche Werke incl. der Kantate Ninfe inbelli sind unter Geistliche Werke zu finden.

Der Traum MH 84

Diese als ´Pantomime` bezeichnete Komposition, eine von diversen Stücken Haydns, die als Einlage zu den sogenannten, von Studenten der Salzburger Universität Ende der 1760er Jahre zu verschiedenen Anlässen aufgeführten ´Pietas-Dramen` (oder auch Schuldramen) dienten,  wurde im September 2020 in einer halbszenischen Darbietung im Schloß Petronell-Carnuntum in Nieder-Österreich mit durchaus gutem Erfolg wiederaufgeführt. Der Begriff ´Pantomime` führt ein wenig in die Irre, weil das Stück keineswegs sprachlos daherkommt. Ein Erzähler führt durch die zweiaktige Handlung, neben diversen Orchesterstücken gibt es ein idyllisches Duett, das sich großer Beliebtheit erfreute, und drei Gesangseinlagen für Sopran (ganz im Stil der zeitgenössischen italienischen Oper), Bass (vermeintlich eine türkische Arie; wenn auch in einer Phantasiesprache) und Altus (eine lateinische Arie in der Barock-Tradition). In den abwechslungsreichen Instrumentalstücken gelingt Haydn immer die Erzeugung zur Handlung passender musikalischer Stimmungen (z.B. im Andante Nr. 6 und 15 oder in der Gavotte Nr. 27). 

Die Hochzeit auf der Alm MH 107

Ein Singspiel aus dem Jahr 1768, ebenfalls eine Einlage zu den fünfaktigen studentischen Aufführungen, das zu den bekanntesten Bühnenwerken Haydns gezählt wird. Ursprünglich bestand es aus vier Gesangsstücken (2 Arien, 1 Duett und 1 Quintett) sowie vier Orchesterteilen, die Haydn zusätzlich zu einer Sinfonie G-Dur MH 108 zusammenschloss – allerdings ohne die charakteristischen Hornrufe des Beginns). Für spätere Aufführungen wurde die Handlung erweitert und es kamen weitere Arien und Ensembles hinzu, die jedoch trotz gesteigerter Dramatik den eher einfachen Charakter der ursprünglichen Gesangsstücke bestätigten, so dass der musikalische Schwerpunkt weiterhin auf den Orchestereinlagen liegt.  

Die Wahrheit der Natur MH 118

Die dritte Singspiel-Einlage aus dem Jahr 1769 ist zugleich das umfangreichste derartige Werk Haydns. Es besteht aus insgesamt 19 Nummern – davon sechs Instrumentalstücke (vier davon hat Haydn zu einer F-Dur-Sinfonie verarbeitet) – deren Gesangsstücke von typisch barocken Da-Capo-Arien über parodistische Kompositionen auf Barock-Modelle (z.B. Lamento) bis hin zu derb-komischen Liedern im Volkston reichen, mit deren Hilfe den jungen Studierenden die Basis aller Künste – die Natur – nahegebracht werden soll. Ein besonderer Höhepunkt des Stücks ist die Arie einer der drei Töchter der Natur, Euphrosina, in der Haydn bewusst ´schlecht` komponiert mit Quintparallelen, Tritonusschritten und völlig unsinnigen Betonungen und Wiederholungen.

Der Baßgeiger zu Wörgl MH 205

Entstanden zwischen 1773 und 1775 ist die Autorenschaft Haydns bei diesem relativ kurzen ´Lustspiel in der Musik` für zwei Singstimmen (Sopran und Bass) sowie Streicher zwar wahrscheinlich, aber nicht endgültig geklärt. Zum Inhalt: Lieschen (nicht besonders helle) lässt ihren wieder einmal betrunken heimkehrenden Ehemann Bartl nicht zurück ins Haus. Der aber spiegelt ihr vor, sich deshalb ertränken zu wollen. Lieschen ist erschüttert und verlässt das Haus, um ihn zu suchen. Er ergreift diese Gelegenheit, ins Haus zurück zu schleichen und dreht den Spieß um, als Lieschen zurückkommt. Sie darf erst wieder ins Haus, nachdem die Abbitte geleistet und ihm auch für die Zukunft das Trinken erlaubt hat.  

Die Ährenleserin MH 493

Mit diesem auf einen Text von Christian Felix Weiße 1788 geschriebenen Stück nähert Haydn sich der Tradition des norddeutschen Singspiels von Benda, Neefe oder Hiller an. Letzterer hat das Libretto 10 Jahre zuvor ebenfalls vertont. Die Geschichte ist einfach: das arme Mädchen Emilie wird beschuldigt, bei der Ährenernte Getreide gestohlen zu haben. Die Kinder des Gutsbesitzers nehmen sie in Schutz, schließlich kommt der Gutsbesitzer selbst hinzu und es stellt sich heraus, dass es sich bei Emilie um die Tochter seines besten Freundes handelt, der im Krieg gestorben ist. Er nimmt das Kind und die Mutter in sein Haus auf. Musikalisch befinden wir uns komplett im klassischen Stil, Barockanklänge sind getilgt. Es überwiegt das Liedhafte – ähnlich ´Der Hochzeit auf der Alm` – insgesamt aber ist eine komplexere Harmonik zu verzeichnen.

Bühnenmusik zu Voltaires ´Zaire`

Zaïre ist eine Tragödie in fünf Aufzügen aus dem Jahr 1732 und wurde zu Voltaires grösstem Bühnenerfolg. Die Handlung spielt in Jerusalem gut 20 Jahre nach der Rückeroberung durch Saladin und behandelt vordergründig ein Eifersuchtsdrama, in dem der Sohn Saladins nach diversen Missverständnissen seine geliebte Braut Zaire und anschließend sich selbst tötet, vorher jedoch allen in Jerusalem gefangenen Christen die Freiheit schenkt. Damit erhält das Stück ein geistiges Konzept, das sich später u.a. im Mozarts ´Entführung aus dem Serail` wiederfindet (Muslim gibt Christen die Freiheit). Zu ´Zaire` hat Haydn fünf bildhaft ausdrucksvolle, teiweise ´türkisch` eingefärbte Zwischenaktmusiken komponiert, die Bezeichnungen lauten: 1. Allegro assai, 2. Andante, 3. Adagio, 4. Allegro molto, 5. Largo – Recitativo – Largo da capo – Recitativo secondo.

Endimione

 

Schon aus dem Jahr 1721 stammt der von Metastasio verfasste Text zu dieser Opera Seria, deren ´Serenata`-Version (nicht zu verwechseln mit dem Begriff ´Serenade, hier ist gemeint eine vokal-instrumentale Huldigungsmusik, die vorwiegend im 17. und 18. Jahrhundert zu Krönungen, Hochzeiten u.ä. Festlichkeiten entstanden) von Haydn 1778 aus Anlass der Feierlichkeiten zur Installation von Ignaz von Spaur als Fürstbischoff von Brixen in Salzburg aufgeführt wurde. Der Text um die von Amor gesteuerten Liebesirrungen der Göttin Diana mit der Titelfigur war zuvor u.a, von Hasse, Jomelli und J.C. Bach vertont worden. Das Werk besteht nach einer Orchester-Introduktion hauptsächlich aus der üblichen Abfolge von Rezitativen und Arien – unterbrochen von einem Duett am Ende des ersten Aktes. Durch die Besetzung mit drei Sopranen und einem Countertenor und die teilweise überlangen Rezitative stellt sich trotz einer differenzierten Instrumentierung und kühnen Koloraturen in den überwiegend flotten Arien ein Gefühl der Eintönigkeit ein, das einer dauerhaften Wiederbelebung im Weg stehen wird.

Andromeda e Perseo

1787 (im selben Jahr wie Mozarts ´Don Giovanni`) wurde diese ´Serenata` in Gestalt einer ´Opera Seria` aus Anlass des 15jährigen Jubiläums des Erzbischofs Colloredo als Oberhaupt des Erzstifts Salzburg aufgeführt.  Das Vier-Personen-Stück (Libretto: Giambattista Varesco) erfüllt seinen Zweck gefälliger Unterhaltung eines höfischen Publikums sehr gut. Es hebt sich insoweit positiv vom ´Endimione` ab, als Haydns Fähigkeiten als Sinfoniker hier weitaus mehr zum Tragen kommen und sich bereits mit dem Vorspiel, verstärkt im Laufe des Stücks eine, auch durch die eingestreuten Ensembles und Chorpassagen, immanente Dramatik konstatieren lässt. Dazu tragen nicht zuletzt auch die vom Orchester begleiteten Rezitative bei, die zudem weit weniger ausladend ausfallen als im ´Endimione`. Die Rolle der Andromeda schrieb Haydn für seine Ehefrau Magdalena.  

Michael Haydn schrieb eine große Zahl von Liedern, in deren Rahmen insbesondere eine Werkgruppe hervorzuheben ist: die Terzette und Quartette für Männerstimmen, die Haydn ab ca. 1788 auf Anregung seines Freundes, dem Pfarrer Werigand Rettensteiner zu schreiben begann. Die um Geselligkeit, Natur und Liebe kreisenden Stücke wurden fast ausschließlich im privaten Kreis gesungen, sind immer strophisch und harmonisch durchweg einfach strukturiert. Einen sehr guten Einblick in die etwa 60 Kompositionen gibt eine CD der Singphoniker mit 20 klug ausgewählten Liedern aus dem Jahr 1995.

Literatur:

Petrus Eder/Gerhard Walterskirchen/Manfred Hermann Schmid, Art. Haydn, (Johann) Michael in: MGG Online, hrsg. von Laurenz Lütteken, New York, Kassel, Stuttgart 2016ff.

Hans Jancik: Michael Haydn – Ein vergessener Meister – Zürich, Leipzig Wien 1952

Eva Maria Stöckler/Agnes Brandtner: „…dauert ewig schön und unveraltet…“ Johann Michael Haydn – kein vergessener Meister

Gerhard Croll: Johann Michael Haydn – Sein Leben, sein Schaffen, seine Zeit Wien 1987

Sabine Krohn/Gerhard Walterskirchen: Michael Haydn – Leben, Werk, Zeit Carus Verlag

Kongreßbericht: Johann Michael Haydn. Werk und Wirkung. Referate des Michael-Haydn-Kongresses in Salzburg vom 20. bis 22. Oktober 2006, Hg. Petrus Eder OSB und Manfred Hermann Schmid. München 2010.